Ich bin ein
Pastorenkind, mithin eins von der Sorte, aus der zuzeiten etwas sehr
Hervorragendes und zuzeiten etwas ganz Verlorenes wird. Natürlich hatte
ich es, wie wohl jedes junge Menschenkindlein, einstens darauf
abgesehen, etwas ganz Besonderes zu werden. Es ist nichts aus dem Plan
geworden – ein ganz bescheidenes Plätzchen „mitten in der Welt“ hab ich
erlangt – freilich, als ich es fand, waren die Träume törichter
Sehnsucht auch schon vorüber, und es war mir eben recht. –
Geboren bin ich in einem Dorfe
nahe der Elbemündung – es ist lange her (genau am 14. August 1872), und
ich kenne den Ort nicht mehr. Schön soll er übrigens sein mit seiner
Fülle herrlicher Obstgärten, mit zahlreichen blankscheibigen
Fischerhäusern. Meine bewusste Kindheit und den größten Teil meiner
Jugend habe ich im Oldensworter Pfarrhaus und Garten verlebt, nahe der
grauen See, zu der wir in sommerlicher Zeit zum Baden fuhren. Meine
Bildung ist Terrazzoarbeit, zusammengesetzt in der Dorfschule, im
Privatunterricht durch eine Erzieherin, im Pensionsleben in Lübeck, auf
der Mädchenschule in Flensburg, auf dem Lehrerinnenseminar in
Augustenburg und verbunden durch das zähe Bemühen, selber zu ergänzen
und Lücken auszufüllen. Blicke ich auf die Reihe meiner Bildner zurück,
so erfüllt mich rechte Ehrfurcht und
Dankbarkeit eigentlich doch nur für den alten Rechenmeister Jensen, dem
ich ein bescheidenes Denkmal gesetzt habe in meiner Erzählung: „Rüm
Hart – klar Kimming“, zu deutsch: „Weites Herz, klarer Horizont“. Ich
weiß nicht, welches Sprüchlein besser den
silberlockigen Philosophen mit dem Flammenblick zu charakterisieren
vermöchte. Meine Lehrerinnenjahre waren für lange Zeit Wanderjahre, so
dass alle Braven, Sesshaften missbilligend ihre Häupter schüttelten
über meine Unbeständigkeit. Wie konnten sie auch anders urteilen. Am
Ende fand ich, was mir gemäß war, fand es in einer sechsjährigen
Schultätigkeit in meinem Heimatdorf. Das fröhliche Kleinvolk mit den
strahlenden, vertrauenden Augen um mich herum, alsdann meine Erholung
in dem alten baumreichen Garten mit silbernen Weiden, Espen und Eschen
um den Teich, ein Schlendern am Strande entlang – und dann wieder meine
Arbeit am Schreibtisch! Ich blicke gern auf jene gute Zeit zurück.
Damals entstand eine große Reihe novellistischer Skizzen, unter ihnen
befinden sich die besten Erzeugnisse meiner Feder überhaupt. Sie
erschienen in der „Kieler Zeitung“, „Niedersachsen“, „Münchener
Allgemeinen Zeitung", „Täglichen Rundschau", „Deutschen Revue“. Dazu
kamen eine Reihe größerer Erzählungen.
In all diesen Arbeiten
lebt meine friesische Heimat, ihre stolze, ruhevolle Schönheit, ihr
herber, hochmütiger, tüchtiger Menschenschlag. Inzwischen habe ich
meine Amtstätigkeit niedergelegt, mein Vater die seine, und wir sind
nicht mehr die Pastorsleute in Oldenswort. Erinnerung ist es nur,
die mir die „bittersüßen, bis an den Rand gefüllten Schalen" reicht,
immer wieder reicht, so dass ich, ob ich gleich an manchem Ort des
deutschen Vaterlandes war, an englischen Kaminen saß und oft in
Dänemarks munterer Hauptstadt weile, nie daran denken könnte, etwas
anderes zu erzählen, als was sich im Friesenlande zugetragen hat. Der,
dessen große heimliche Schönheit mir aufgetan hat, ist wohl mein
verehrter Theodor Storm gewesen. Der mich im übrigen lehrte, die
Versöhnung zu suchen mit dem – ich muss noch einmal das Wort
gebrauchen – „bittersüßen“ Menschenleben, war und ist der große Meister
in Braunschweig [gemeint ist Wilhelm Raabe].
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